Eine Oase des Schmökerns, Stöberns und Verweilens
In unserer Blogreihe möchten wir euch von der WelterbeRegion Anhalt-Dessau-Wittenberg erzählen und euch zu eurem nächsten Ausflug inspirieren. Welche Ziele lohnen sich, wo habt ihr richtig viel Spaß mit euren Kindern, von welchem Ausflugsziel habt ihr noch nie gehört oder wohin sollte die nächste Radtour gehen? Wir freuen uns, dass ihr auf unserem Blog angekommen seid und laden euch ein, die Region mit der WelterbeCard zu erkunden. Herzlich Willkommen!
Heute teilen wir den Blogbeitrag von Dr. Monika Kaiser, die Reisende in der Welterberegion fachkundig und unterhaltsam mit ihrem kunsthistorischen Wissen begleitet. Sie schreibt für Geheimtipp Sachsen-Anhalt und bietet passgenaue Touren an, die sie nach den Wünschen Ihrer Kunden zusammenstellt. So z.B. Tagesprogamme für Kleingruppen, bei denen Kunst und Kultur mit regionaler Kulinarik kombiniert werden oder auch Gruppentouren für Bauhausbegeisterte nach Weimar und Dessau unter dem Blickwinkel "Frauen am Bauhaus" oder "Wie wollen wir glücklich arbeiten und leben?". Mehr zu Frau Dr. Kaisers Arbeit findet ihr auf: www.welterbeTours.de .
Inmitten der Bitterfelder Seenlandschaft liegt das kleine und urige Dorf Mühlbeck. Auf der B100 von Wittenberg in Richtung Halle fahrend, könnte man es fast übersehen, denn zunächst gelangt man über den langgestreckten Damm, der die Mulde vom angestauten Muldestausee trennt, auf die Halbinsel Pouch, von deren rotem Turm aus man bei guter Sicht bis zum Völkerschlachtdenkmal nach Leipzig schauen kann. Plötzlich weist dann ganz unvermittelt ein Hinweisschild nach rechts in eine Seitenstraße und man findet sich völlig unerwartet in einem intakten Dorfkern mit alter Feldsteinkirche wieder und ist im ersten Buchdorf Deutschlands Mühlbeck-Friedersdorf gelandet.
Von Bücherenthusiasten 1997 ins Leben gerufen, zählt Mühlbeck heute 3 Antiquariate, also Buchhandlungen, die sich auf gebrauchte und vergriffene Bücher spezialisiert haben und zu günstigen Preisen verkaufen. Gleich am Dorfeingang, im ehemaligen Dorfkonsumladen, befindet sich der aktuell geschlossene „Bücher con sum“, der von seiner Betreiberin Heidemarie Dehne altersbedingt in gute Hände abgegeben werden soll. Weiter hinten im alten Dorfkern, neben der sehenswerten Kirche mit spätgotischem Altar gelegen, sind drei weitere Antiquariate zu finden: das „Antiquariat Bär“ sowie das „Antiquariat Gödicke“ in der alten Dorfschule und direkt daneben, im ehemaligen Pfarrhaus Mühlbecks, das „Antiquariat Girev“, das von Herbert John unterhalten wird.
René Bär, dem das gleichnamige Antiquariat gehört, ist ebenso wie Heidemarie Dehne ein Gründungsmitglied des Buchdorfs, das mit 7 Antiquariaten gestartet ist. Der in den Anfängen gegründete Verein Buchdorf Mühlbeck-Friedersdorf nahm die Bücherspenden für das Dorf entgegen und wirkte als verbindende Struktur der einzelnen Antiquariate. Myriam Gödicke, die Inhaberin des zweiten Antiquariats in der Alten Schule zählte zu einer Gruppe von Frauen, die in den Anfängen des Buchdorfs Bücher erfassten und machte ihre Liebe zum Buch dann zum Beruf. Seit langem schon arbeitet sie gemeinsam mit René Bär im eigenen Antiquariat in den Räumen jener Schule, die sie ehemals als Kind besucht hatte. Herbert John, der Betreiber des Buch- und Luftfahrtantiquariats Girev, war lange Zeit Vorsitzender des Fördervereins genauso wie die gebürtige Kölnerin Heidemarie Dehne, die die Idee des Buchdorfs nach Sachsen-Anhalt gebracht hat. Der Verein wurde 2018 aufgelöst und seitdem fehlt das gemeinsame Auftreten des Buchdorfs nach Außen und die damit verbundene Wirksamkeit.
Als Vorbild für das erste deutsche Buchdorf diente das walisische Hay-on-Wye, das der britische Buchhändler Richard Booth 1961 gegründet hatte, in dem er im Dorf einen Laden für gebrauchte Bücher eröffnete. Schnell zog seine Idee weitere Antiquariate an und noch heute ist Hay-on-Wye mit seinen etwa 40 spezialisierten Antiquariaten das Mekka für gebrauchte Bücher. (Anm. der Redaktion: Wenn ihr mehr zum Hay-on-Wye Buchdorf lesen wollt, schaut mal hier vorbei: www.england.de/wales/hay-on-wye).
„Buchdörfer funktionieren in abgelegenen, landschaftlich attraktiven Regionen. Besucher kommen gezielt und finden die kurzen Wege zwischen einer Vielzahl von Antiquariaten in erholsamer Umgebung wohltuend und entspannend“, davon ist Heidemarie Dehne überzeugt, deren „Bücher con sum“ vor der Übernahme steht.
Während Miriam Gödicke und René Bär eine breite Palette gebrauchter Literatur anbieten und man dort zum Schmökern in eine große Büchervielfalt eintauchen kann, hat sich das Antiquariat Girev dem Thema der Luftfahrt verschrieben, setzt auf Spezialisierung und ist auch im online-Gebrauchtbuchhandel aktiv. Der Reiz des Handelns mit alten Büchern liegt in ihrer Geschichte, dem Wissen, das in ihnen steckt und den Menschen, die sie miteinander verbinden. Jedes alte Buch trägt diese Spuren in sich und die Antiquariate hüten diese Schätze, um sie an andere weitergeben zu können. So hat Mühlbeck eine Stammkundschaft, die sich immer wieder in seinen Antiquariaten einfindet und dort fündig wird. Sogar Kundschaft aus Berlin und Leipzig weiß die Vorzüge des Buchdorfs zu schätzen, da Bücher dort vielfach zu wesentlich günstigeren Preisen zu finden sind als in der Großstadt. Aus Leipzig, der nahegelegenen Hauptstadt des Buches, lässt es sich sogar bequem mit S-Bahn und Fahrrad an die Goitzsche reisen, um die Natur zu genießen und in den Läden des Buchdorfs zu stöbern.
Die nunmehr 26-jährige bewegte Geschichte des Buchdorfs Mühlbecks ist eine kulturelle Erfolgsgeschichte und steht für nachhaltigen Kulturtourismus, denn was ist nachhaltiger, als gebrauchte Kulturgüter weiter zu geben? Altersbedingt befindet sich das Buchdorf aktuell in einer Umbruchsituation, denn in den kommenden Jahren müssen die Antiquariate schrittweise von jüngeren Bücherenthusiasten mit Geschäftssinn übernommen werden, die dem Ort mit seiner idyllischen Lage und passenden gastronomischen Angeboten neue Impulse geben.
Das Dorf hätte es verdient, denn der so ursprünglich anmutende Dorfkern Mühlbecks mit duftenden alten Lindenblütenbäumen, ist ein Kleinod der Bitterfelder Region. Eine so intakte historische Dorfstruktur mit breitem, begrüntem Dorfanger und einem darin gelegenen Dorfteich in dem sogar wunderschöne Seerosen blühen, findet sich hier nirgends. Die über Jahrhunderte gewachsene Kulturlandschaft rund ums Dorf wurde durch den Braunkohletagebau regelrecht weggebaggert. Aus der ehemaligen Abraumwüste ist mittlerweile ein Naherholungsgebiet entstanden, das zum Radfahren, Schwimmen und Segeln einlädt. Besteigt man die Plattform des nahe gelegenen, 26 m hohen Pegelturmes, kann man sich davon überzeugen: Naturlandschaft und Wasser soweit das Auge reicht und mittendrin ein kleines, intaktes Dorf, das dem Kulturgut Buch gewidmet ist.
Adressen der Antiquariate in Mühlbeck
Antiquariate in der Alten Schule
Antiquariat René Bär und Antiquariat Myriam Gödicke
Dorfplatz 15
Öffnungszeiten: Di-Sa 10.00 – 16.00 Uhr
info@antiquariat-baer.de und hmg99@t-online.de (Myriam Gödicke)
Tel: 03493/514915
Mobil: 0151-15735123
Bücher- und Luftfahrtantiquariat Girev
Herbert John
Dorfplatz 16 (Altes Pfarrhaus)
Öffnungszeiten: Sa und So 10.00 – 17.00 Uhr
www.buchdorf-info.de
magirev@t-online.de
Tel: 03493/826301
Mobil: 0159 06336903
Das Buchdorf Mühlbeck ist für alle Bücherfreunde ein schönes Ausflugsziel nahe des Muldestausees und der Goitzsche.
Seid ihr zufällig interessiert eines der Antiquariate zu übernehmen oder habt ihr Ideen für die Zukunft und den Erhalt des Bücherdorfes? Dann meldet euch doch bei den obengenannten Adressen.
Teilt eure Impressionen von eurem Besuch bei den Büchern gern mit dem Hashtag #welterberegion auf Instagram mit uns.
Wir bedanken uns Frau Dr. Monika Kaiser für den tollen Blogbeitrag, der uns einen Blick in das einzigartige Bücherdorf gewährt!
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